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Menschen:
klug und doch
gelähmt

05

Die Grenzen der Messbarkeit

Holistische Betrachtungen suchen nach den Gegensätzlichkeiten unserer Zeit, zwischen denen sich Realität manifestiert. Und auch unsere Welt teilt sich in zwei Bereiche: in einen messbaren, wissenschaftlichen Teil und in einen Teil, der schwer zu beschreiben ist, weil er nicht durch Zahlen abgebildet werden kann. Der Zufall, der Schmetterlingseffekt, das Chaos, das menschliche Vorstellungsvermögen oder die Wildheit und die Mythen des Lebens gehören zu diesem nicht messbaren Segment unseres Daseins.

«Wie viele Geschwister haben Sie?», «Wie ist Ihr Ölstand?», «Wie viele Zuschauer waren im Konzert?» Es gibt Fragen, die können wir durch Messungen oder Recherche exakt beantworten. Messungen sind die Grundlage der Wissenschaft und nur Thesen, die mittels Messungen nicht falsifiziert werden können, gelten als valide. Doch leben wir nicht in einer rein logischen und messbaren Welt. Wäre alles in der Welt messbar, wäre die Zukunft nicht ungewiss, sondern berechenbar. Und es gehört zu unserer tiefsten Welterkenntnis, dass sie dies nicht so ist.

«Gab es in unserem Land noch nie so viel Wohlstand wie heute?», «Wie glücklich ist das Volk?», «War die wegweisende politische Entscheidung des letzten Sommers die richtige?» Solche Fragen können wir nicht einfach mittels einer Messung beantworten. Die Antworten sind diffus und hängen von der Perspektive ab – wir befinden uns jetzt auf der nicht messbaren Seite der Welt. Und Studien, die versuchen, auf solche Fragen eine Antwort zu finden, werden zwangsläufig scheitern – zu vielfältig, ungewiss und vernetzt ist unsere Welt und zu sehr hängt sie von irrationalen Träumen, Ängsten, Mythen und Zufällen ab. Hier fühlen wir uns schnell unwohl, weil wir unser Leben gern als Abfolge analysierbarer Entscheidungen und Ereignisse begreifen möchten.

In unserer durchgerechneten und ökonomisierten Zeit ist es deshalb üblich, in erster Linie auf die messbare Seite unserer Welt zu schauen. Wir versuchen, alles in Zahlen abzubilden, die uns alleine als verlässlich erscheinen und Wahrheit versprechen.

Wir aber starren auf das BIP, das BSP und die Aktienkurse und glauben daraus die Realität ablesen zu können, weil sie dort doch in Zahlen abgebildet wird. Wir befragen Leute nach ihren Meinungen, erstellen Statistiken, Kuchen- und Säulendiagramme und rechnen es immer wieder auf das eine grosse Messsystem unseres irdischen Kosmos zurück: Geld. Die Ökonomisierung aller Gesellschaftsbereiche hat dazu geführt, dass wir jeder pflegerischen Handlung, jedem Gitarrensolo, ja schon fast jedem Lächeln, das uns geschenkt wird, einen materiellen, messbaren Wert in Geldeinheiten zumessen.

(Harald Lesch, 2016)

So vermessen wir die Leistungen von Gesellschaftsbereichen wie Pflege, Bildung oder Kunst immer wieder mit Zahlen, Tabellen und Diagrammen, weisen ihnen einen ökonomischen Wert zu. Obwohl wir wissen, dass Gesundheit, Weisheit oder Schönheit nummerisch nicht abzubilden sind.

Der aktuelle Augenblick, das Jetzt, in dem wir uns in jedem einzigartigen Moment unseres Lebens befinden, ist das Ergebnis von Millionen Zufällen, die ihrerseits zu ganz anderen Wirklichkeiten hätten führen können. Wir sind in erster Linie Wesen des Zufalls, nicht der Planbarkeit und Optimierung. Leider – oder zum Glück – kennen wir die unzähligen theoretischen Möglichkeiten nicht, die aufgrund verpasster oder nicht wahrgenommener Phänomene in unserer Vergangenheit nie zu Tatsachen wurden. Es gibt keine Paralleluniversen, die wir beobachten und messen können, und das macht einen sehr grossen Teil unserer Entscheidungen nicht analysierbar und rational nicht bewertbar. Die Frage nach dem «Was wäre, wenn …» wird immer unbeantwortet bleiben.

Dazu kommt: Die Entscheidung einer Nationalbank ist aus Sicht eines Aktienhändlers in London anders zu beurteilen als aus der Sicht einer Marktfrau in Athen. Ob eine Situation als «gelungen» oder «nicht gelungen» beurteilt wird, hängt somit oft von der Perspektive ab. Ist also eine Frage widersprechender Interessen und des Kontextes, weil die Diagnose eine unendliche Zahl an Aspekten umfasst. Damit befinden wir uns auf der nicht messbaren Seite der Welt. Wahrheiten verschwimmen und Gewissheiten verblassen.

Soziale Systeme schaffen
moderne Herausforderungen

Unsere Welt wird immer komplexer und der Anteil an Nichtmessbarem steigt, weil wir alle immer stärker in gesellschaftliche Systeme eingebunden sind, die sich chaotisch und unberechenbar verhalten und gegenseitig beeinflussen. Jeder von uns ist durch Konsum und Arbeit im Wirtschaftssystem integriert, viele sind im politischen System engagiert oder zumindest von entsprechenden Entscheidungen betroffen und immer mehr Personen sind sowohl Konsumenten als auch Produzenten (etwa über Blogs oder soziale Medien) von Inhalten. Auch andere gesellschaftliche Systeme wie das Gesundheitswesen, die Technologie oder die Religion schleichen sich unaufhaltsam in unseren Alltag und machen uns zu Beobachtern und Spielern zugleich.

So trägt die moderne Gesellschaft die komplexen Probleme der Welt quasi täglich näher an uns heran. Und unsere aufgewühlte Zeit lässt uns dies ständig spüren:

  • Komplexe, unübersichtliche Probleme, die uns alle betreffen, sind Teil unseres Alltags.
  • Die rasante Digitalisierung und Globalisierung der Wirtschaft und aller gesellschaftlichen Bereiche machen vor niemandem Halt.
  • Wir sind mit sozialen Systemen konfrontiert, die sich scheinbar selbstständig machen und sich vom Einfluss des menschlichen Handelns immer mehr emanzipieren.

Ja, da haben wir uns ganz schön was vorgenommen fürs neue Jahrhundert. Und da wir alle so stark von diesem Wandel betroffen sind, steigt unsere individuelle Verantwortung, zur Lösung der Probleme beizutragen. Aber wie können wir diese Situation meistern?

Blicken wir noch einmal ins 19. Jahrhundert, dann sehen wir, dass damals vor allem einzelne Genies Lösungen für die grossen Fragen der Zeit anboten. Guglielmo Marconi wirkte als Pionier moderner Kommunikationsformen, Joseph Wilson Swan und Thomas Edison erfüllten die Dunkelheit der Nacht mit elektrischem Licht und Robert Koch legte mit seiner Infektionslehre die Grundlage für die moderne Medizin. Ein Problem auf einem spezifischen Gebiet konnte also von einzelnen Personen oder Gruppen angegangen und gelöst werden.

Der Klimawandel wird jedoch nicht von einem Techniker aufgehalten werden. Der demografische Wandel wird nicht durch einen Politiker und die modernen Herausforderungen eines Unternehmens werden nicht von einem einzelnen Manager gelöst werden. Vielmehr werden es Prozesse sein, die einen Nährboden schaffen, auf dem Lösungen entstehen können. Dieses Mal dürfen wir uns nicht auf unsere Klügsten verlassen. Sondern es sind Anstrengungen in einer ganz neuen Größenordnung erforderlich und kollektive Intelligenz ist gefragt. Die verschiedenen Systeme unserer Gesellschaft (Wirtschaft, Politik, Justiz, Kunst, Presse usw.) müssen kombiniert und koordiniert eingesetzt werden, um die unübersichtlichen, verflochtenen und verschlungenen Probleme der heutigen Zeit zu lösen. Und wir müssen einen Weg finden, wie wir unsere Zusammenarbeit intelligenter und nachhaltiger strukturieren.

Die Grenzen des Managements

Wir sehen also, dass unsere modernen Probleme komplex sind und sich nicht einfach über die messbare Seite der Welt lösen lassen – sie sind offen, verworren und schwer zu verstehen. Und trotzdem gehen wir sie häufig so an, wie wir es mit Herausforderungen tun, deren Ausgangslage und Ziel klar und deren Handlungsfeld eindimensional ist.

Der klassische Ausdruck für diese eindimensionale Herangehensweise an Probleme ist «Management». Das Wort leitet sich vom englischen «to manage» ab, was so viel bedeutet wie «etwas zu Ende bringen» oder «ein vordefiniertes Ziel erreichen». Doch bei komplexen Herausforderungen lassen sich die Ziele vorab meist nicht klar definieren und auch die Lösungen sind nicht absehbar. Trotzdem sind wir natürlich zum Handeln «verdammt», um aktiv Wirklichkeiten zu schaffen, die gesehen, gespürt, verstanden und geteilt werden.

Und so ist es kein Wunder, dass wir an vielen Herausforderungen scheitern, weil wir sie mit den falschen Mitteln angehen. Wir versuchen etwas zu managen, was sich an sich gar nicht zu Ende bringen lässt, weil die Realität einem unkontrollierbaren Chaos ähnelt und nicht einer sterilen Labor-Umgebung. Wir schaffen es nicht, die Unvorhersehbarkeit der Zukunft und die Komplexität der Welt in unsere Prozesse einzubeziehen. Grosse Projekte und Ambitionen scheitern, weil wir nach «gutem Management» suchen, wo wir doch eigentlich auf der Suche nach Visionen, Verbindendem, menschlichen Potenzialen und Kreativität sein sollten.

Der Silberstreif am Horizont

Und doch gibt es in diesen unruhigen Zeiten einige Organisationen, die eine Formel für Erfolg gefunden zu haben scheinen. Sie entwickeln innovative Lösungen, nicht um ein bestimmtes fixiertes Ziel erreichen, sondern um ganze Branchen zu revolutionieren und Herausforderungen zu lösen, die uns vorab gar nicht bewusst waren. Doch was ist der Nährboden, auf dem dieser Erfolg gedeihen kann? Welche Möglichkeiten und Prozesse gibt es, um komplexe Herausforderungen zu meistern? Wie schaffen wir es, ganzheitlicher zu denken und menschliche Potenziale richtig einzusetzen, sodass wir auch in unübersichtlichen Situationen unseren Kompass behalten?

Das Geheimnis erfolgreicher Organisationen ist es, sowohl den messbaren als auch den nicht messbaren Teil der Welt zu berücksichtigen und so moderne Probleme zu lösen. Diese Unternehmen haben begriffen, dass das oberflächliche Verstehen eines Sachverhalts noch lange nicht dessen Lösung bedeutet. Wir müssen die Systeme grundsätzlich anpacken, an deren Operationen arbeiten, die Spielregeln anpassen und so neue Spielformen schaffen.

Um erfolgreichen Organisationen nachzueifern, müssen wir unsere Probleme also auf zwei Arten angehen:

  • Die messbare Seite der Welt: datenbasiert, analytisch und rational, wobei wir vor allem auf den aktuellen Zustand achten und wie wir diesen messen und optimieren können.
  • Die nicht messbare, veränderliche und mögliche Seite der Welt, in der wir Neues schaffen mit einem Fokus auf menschliche Potenziale und das Vermögen der Zusammenarbeit in Gruppen. Hier geht es vor allem um die Fähigkeit zur Veränderung und Innovation in Organisationen.

Es ist zentral zu verstehen, dass die beiden Bereiche sich nicht widersprechen, sondern ergänzen. Wir sollten nicht die messbare Seite unserer Welt aus der Analyse ausschliessen und uns nur noch auf die «weichen» Aspekte verlassen. Das wäre genauso falsch wie die Tendenz, die Wahrheit nur über die Analyse des Bestehenden zu suchen. Es gilt zu begreifen, dass beide Teile der Welt auf uns einwirken, und wir müssen wissen, wann welcher Aspekt wie richtig eingesetzt wird.

Ziel ist eine ganzheitliche Betrachtungs- und Herangehensweise. Wann müssen wir auf die Zahlen blicken und wie können wir Messbares einsetzen, um bessere Entscheidungen zu treffen und die schwierigen Herausforderungen unserer Zeit zu lösen? Und wann müssen wir den rationalen, analytischen Teil außen vor lassen und uns darauf verlassen, dass wir uns auch im freien Raum des menschlichen Chaos zurechtfinden?

Es ist wie mit den Schwertern der drei Prinzen. Unser Weg basiert auf der menschlichen Klugheit und dem Streben nach dem Guten. Diese Kraft setzen wir ein, um die Macht der Zahlen zu bändigen und sie nachhaltig für uns zu nutzen. Das Kalte, ja fast schon bösartige Element des analytischen Durchrechnens soll dabei durch die menschliche Seite, ihre Kreativität, Zusammenarbeit und Moral ergänzt werden. Wobei auch hier wieder Klugheit und Weisheit gefragt sind, um Wege zu finden, wie die Trägheit und fehlende Schlauheit von Gruppen und Organisationen überwunden und das Potenzial von Menschen in Gruppen freigesetzt werden kann.

Begeben wir uns nun auf diese Reise und betrachten zuerst die messbare Seite der Welt: die Welt der Ökonomie, des Geldes, die mit den Fragen nach Wachstum und Wohlstand verbunden ist.

Menschen

Ein Rädchen im Getriebe

Moneten

Messungen, Marketing und Disruption

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