Monster:
Nichtmessbares zum
Leben erwecken
04
Menschliche Potenziale
in Organisationen
Betrachten wir zuerst das Konstrukt der Organisation von unten. Schauen wir auf den Menschen und seinen erstaunlichen Geist: Impuls – Reaktion! Fliessend und unvollendet! Strukturiert und chaotisch! Rational und linguistisch! Menschen besitzen Kreativität – eine göttliche Fähigkeit zur bewussten Schöpfung aus dem Nichts. Und wir kombinieren dies mit einem zweiten, verführerischen Talent: der Rationalität. Menschen sind sowohl sprachliche, Geschichten erzählende als auch rechnende Wesen und das unterscheidet uns von jeder anderen Spezies dieses Planeten. Wir sind rational und kreativ, betreiben Wissenschaft und nutzen Sprache. Beide Seiten bedingen die menschliche Kultur und Gesellschaft.
Dank unserer Fähigkeit zu rechnen und abzuwägen können wir rationale Entscheidungen treffen, Wissenschaft betreiben sowie den technischen Fortschritt vorantreiben. Innovation wird oft mit der Fähigkeit zum Rationalen assoziiert. Und natürlich spielt auch Geld – der allumfassende Zollstock dieser Welt – eine zentrale Rolle dabei, denn «eine Innovation muss sich am Ende lohnen».
Das schillernde Phänomen Geld treibt uns jedoch so stark in Richtung des rationalen Denkens und des messbaren Wachstums, dass unsere zweite Seite – das Kreative und Schöpferische, die Sprache und das menschliche Potenzial als solches – zu kurz kommt. Doch unsere sprachlichen Fähigkeiten sind mindestens genauso wichtig für Innovation wie das Rationale. Sie erlauben es uns, in Gruppen und Organisationen zusammenzukommen, gemeinsam Visionen und Ziele zu entwickeln und grosse Dinge aus dem Nichts zu schaffen. Über Sprache können wir Zukunft planen, komplizierteste Zusammenhänge verstehen und neue Wege finden, um bisher unlösbare Herausforderungen zu meistern.
Doch nutzen wir unser schöpferisches, sprachliches Geschenk zur Gestaltung der Zukunft zu wenig. Wir stellen unsere mächtigsten Institutionen und Organisationen ausschliesslich unter das Paradigma der Messbarkeit. Dabei sollten wir beide Fähigkeiten – zur Rationalität und zur schöpferischen Kreativität – im Gleichgewicht halten. Doch unsere vom Geld getriebene Gesellschaft verharrt im Ungleichgewicht und verehrt und überhöht den rechnenden und messbaren Teil unserer Existenz.
Wir sollten Organisationen mit einer chaotischen und verschwenderischen Seite errichten, die das Gegenteil von Produktivität zum Ziel hat, ohne dass die Existenz der Organisation aufs Spiel gesetzt wird. Doch ist das überhaupt möglich in einer Gesellschaft, die so stark auf Messbares setzt? Ist es etwa nur im Kontext ewigen Wachstums möglich, Organisationen zu bilden?
Ein Blick in die Natur genügt, um die Möglichkeit langfristiger Existenz jenseits von ewigem Wachstum zu erkennen. Menschen und Tiere können über lange Zeit Daten produzieren, ohne zu wachsen, Bäume wachsen nur, wenn sie jung sind, und stoppen ihr Wachstum dann zu Gunsten des ganzen Waldes oder ihrer unmittelbaren Umgebung.
Betreibt die Natur Innovation, nennen wir das Evolution. Evolution ist weder effizient noch messbar noch rational. Sie schafft Neues, Nützliches und Reales – geht dabei aber nicht rational vor, sondern lässt Phänomene schöpferisch und chaotisch entstehen. Evolution ist das Gegenstück zur Ausrichtung auf Produktivität. Die Natur ist verschwenderisch, vielfältig und verbindet als grosses komplexes System alles mit allem; ein ständiges Versuch-und-Irrtum-Experiment, bei dem das Scheitern immer dazugehört. Und trotzdem gelingt Evolution täglich und seit Jahrtausenden.
Wir können uns an der Natur orientieren, um den Widerspruch zwischen der Unmöglichkeit des ewigen Wachstums und dem Fakt auszuräumen, dass genau dieses Wachstum in unserer Gesellschaft durchweg und mit allen Anreizen gefördert wird. Doch wie müssen wir Organisationen ausrichten, um dies zu erreichen? Was unterscheidet unser Herangehen an Innovation von natürlichen Prozessen und wieso ist ein geordnetes Steuern von Wachstum, Schrumpfung und Stagnation scheinbar nur in der Natur, aber nicht in der Wirtschaft möglich?
Natürliche Evolution ist so erfolgreich, weil sie das grosse Ganze berücksichtigt, also holistisch geschieht. Alles ist mit allem verbunden und die Natur ist nur als Ganzes zu verstehen. Ein gemeinsames Bewusstsein der Menschen ist einer der Schlüssel zur Lösung unserer komplexen Probleme. Denn je mehr wir uns vernetzen und als Einheit agieren, desto vielversprechender wird sich unsere Zukunft gestalten. Mit Vernetzung ist jedoch nicht gemeint, dass wir noch mehr Plunder rund um den Erdball schicken, sondern es geht darum, sich verstärkt um lokale Strukturen zu kümmern und die Kraft des Geldes zu relativieren und neu auszurichten.
Für die Entstehung eines weitverzweigten, schwarmintelligenten Netzwerks braucht es Zeit, Raum und eine neue Art, Entscheidungen in Organisationen zu treffen. Auch die Frage nach der Arbeit der Zukunft ist wichtig, denn in einer digitalen Superinfrastruktur werden die heutigen Mechanismen von Geld und Wertschöpfung nicht mehr in derselben Weise funktionieren. Ein weltweites empathisches und lokal strukturiertes Netzwerk zu schaffen muss das Ziel sein. Wir müssen uns so stark vernetzen und so nachbarschaftlich agieren, wie wir das in der Natur erleben. Dies wird nur dann gelingen, wenn wir unsere Organisationen humanistischer ausrichten – weg von der reinen Messbarkeit und hin zu mehr Vertrauen, Austausch und Empathie.
Der intuitive Geist ist ein heiliges Geschenk, und der rationale Verstand ein treuer Diener.
Wir haben eine Gesellschaft erschaffen, die den Diener ehrt und das Geschenk vergessen hat.
(Albert Einstein)