Moneten:
die messbare Seite
der Welt
06
Schrumpfen ist schwerer
als wachsen
Der Kapitalismus hat seit seinen Anfängen im 18. Jahrhundert nach und nach alle Lebensbereiche durchdrungen und sie unter sein Wachstumsdogma gezwungen. Der Begriff Wachstum ist das volkswirtschaftliche Pendant zum Gewinn eines Unternehmens. Der kumulierte Gewinn aller Unternehmen ergibt vereinfacht gesagt das Wachstum eines Wirtschaftsraums.
Profit und Rendite sind für die Teilhaber eines Unternehmens die entscheidenden Kennziffern, anhand derer sie bewerten, ob eine Organisation die richtigen Daten produziert und weiter existenzberechtigt ist. Nur ein regelmässiger Gewinn sichert deshalb das langfristige Überleben von Unternehmen. Aus diesem Grund ist es für den Kapitalismus auch nicht möglich, auf einem hohen Niveau zu stagnieren. Um das System zu erhalten, muss es immer eine Steigerung gegenüber dem vorherigen Zeitraum geben – andernfalls drohen Kreditausfälle, Crashs und eine Rezession mit all ihren sozialen wie politischen Verwerfungen. Dieser Anreiz und auch Zwang zum Wachstum hat viel Fortschritt in die Welt gebracht und gleichzeitig den beispiellosen ideologischen Siegeszug von Kapital und Geld ermöglicht.
Auch die Digitalisierung hat der Kapitalismus sich wieder einverleibt, aber vielleicht hat er sich dieses Mal übernommen. Denn die Digitalisierung erhebt ebenfalls einen Absolutheitsanspruch. Auch sie kann ganze Gesellschaftsbereiche unter ihre Logik von 1 oder 0, Vernetzung, stetiger Optimierung und Effizienzsteigerung zwingen. Vielleicht bedeutet die Vernetzung aller Gesellschaftsbereiche unter einer neuen Parole zugleich, dass wir einen Schritt aus dem Zwang zum Wachstum heraustreten.
Klar ist: Das Streben nach Wachstum und Gewinn wird nicht plötzlich verschwinden und in vielen Bereichen werden wir den gedopten technischen Fortschritt und die komplizierten Wachstumsprozesse, die wir in den letzten 250 Jahren so minutiös erforscht und perfektioniert haben, brauchen (in den nächsten Jahren zum Beispiel im Bereich der Clean Technologies oder in der Echtholz-Branche). Doch als Selbstzweck wird das Wachstum irgendwann ausgedient haben. Wir müssen verstehen, dass unsere Zukunft im Grossen und im Kleinen auch eine Schrumpfung verlangt – und wir müssen erkennen, dass es gilt, diese Schrumpfungsphase zu planen.
Wie lässt sich diese Schrumpfungsphase konkret planen? Die Politik will sich solchen Fragen zwar stellen, Lösungen kann sie aber nicht bieten. Denn was heisst Schrumpfung konkret? Weniger Autos, weniger Fleisch, weniger Ferien mit dem Flugzeug, nur noch waschbare Windeln und viel teurere Flachbildfernseher, Handys und Computer. Dazu droht in so mancher mächtigen Branche ein Arbeitsplatz- und Kapitalverlust. Die politische Umsetzung solcher Schrumpfungsideen ist – zumindest aktuell – schlicht unmöglich. Und dennoch wird eine Schrumpfung unausweichlich sein.
Daher müssen wir uns mit folgenden Fragen befassen:
- Wie schrumpft man absichtlich, ohne in gesellschaftlich prekäre Verhältnisse zu rutschen?
- Wie kann eine Wirtschaft ohne Wachstum (und damit ohne steigende Gewinne) funktionieren, ohne dass die Investitionsketten komplett brechen, wie wir es in den vergangenen Jahrzehnten in so mancher Krisenregion ohne Wachstum gesehen haben?
- Wie können chaotische politische Zustände, ein breiter Wohlstandsverlust und schlussendlich gefährliche politische Situationen verhindert werden – sowohl innerhalb als auch zwischen Staaten?
- Wie implementieren wir Wachstumsgrenzen in einer Gesellschaft, ohne dabei die Zivilgesellschaft zu zerstören?